25 Jahre Beratungsstelle KIBS

München, 27. September 2024 - Jedes Kind hat Anspruch auf Schutz vor Vernachlässigung und Gewalt1 – seit 25 Jahren berät und begleitet KIBS bayernweit Jungen* und junge Männer* bis 27 Jahre bei sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt.

Ein*e bis zwei Schülerinnen* und Schüler* in jeder Schulklasse erleben sexuelle Gewalt in ihrer Familie und andernorts2 – gerade Jungen* häufig im institutionellen Kontext. Die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle des KINDERSCHUTZ MÜNCHEN, abgekürzt KIBS, berät und begleitet im Jahr rund 600 Jungen* und junge Männer* bis 27 Jahre, die von sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt betroffen sind – Tendenz steigend. Die während der Corona-Pandemie befürchtete Zunahme von Gewalt hinter der Wohnungs- bzw. Haustür hat sich leider bewahrheitet.

KIBS eröffnet Möglichkeiten

Die Überwindung, eine Beratungsstelle aufzusuchen, darf nicht schwer sein – insbesondere für Jungen* und junge Männer*. Es braucht sensible Aufmerksamkeit, um gestärkt wieder ins Leben zu finden und eine gute Zukunft zu haben. Deswegen steht bei KIBS die individuelle Beratung der Jungen* und jungen Männer* ganz vornan. Die Art des Kontakts können sie sich aussuchen – persönlich in der Beratungsstelle, flexibel per E-Mail oder Telefon, auf Wunsch anonym. Es besteht die Wahlmöglichkeit zwischen einem*einer gleich- oder einem*einer gegengeschlechtlichen Berater*in. So werden Hemmschwellen von Anfang an reduziert. Denn: „Reden hilft, wenn einer da ist, der zuhört und mich versteht“, erklärt ein 13-Jähriger, der sexualisierte Gewalt in einer Jugendfreizeit erlebt hat.

Das Angebot wendet sich an alle Jungen* und junge Männer* – unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuellen Identität, egal ob mit Fluchterfahrung, körperlichen und/oder geistigen Behinderungen und natürlich auch dann, wenn sich jemand nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnet. Das KIBS-Team hat Schweigepflicht. Trauma- und familientherapeutische Angebote sowie Krisenintervention ergänzen das Profil von KIBS. Im Falle eines anstehenden Gerichtsprozesses unterstützt das Team und vermittelt zur psychosozialen Prozessbegleitung. KIBS berät auch Eltern, Angehörige und Fachkräfte.

Neue Angebote gehen auf sich wandelnde Bedürfnisse ein

Die gesellschaftlichen Bedingungen haben sich in den letzten 25 Jahren verändert: Digitalisierung, Ökonomisierung, Geschlechtsrollenstereotype, Fragen der Zugänglichkeit von Hilfen. Auch die Gefährdungslagen und Bewältigungschancen von Jungen*, die von sexualisierter Gewalt bedroht oder betroffen sind, verändern sich. Dabei ist der Austausch mit anderen Fachberatungsstellen, mit Ärzt*innen und Therapeut*innen, Kliniken, Jugendamt, Polizei, Justiz u.v.m. enorm wichtig. Deswegen ist KIBS bayern- und bundesweit vernetzt. Auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist von Bedeutung, denn mehr Transparenz und die Präsenz des Themas in den Medien, nicht zuletzt durch #MeToo oder die Aufdeckung der Missbrauchsfälle in den Kirchen, hilft Betroffenen, sich zu öffnen, sich helfen zu lassen, zu reden, sich zu trauen, das Tabu zu brechen.

Entsprechend passt KIBS die Angebote kontinuierlich an. So wurde 2008 aufgrund der über Jahre beständigen Anzahl von Beratungen speziell im Landkreis Fürstenfeldbruck KIM, ein Kooperationsprojekt des KINDERSCHUTZ MÜNCHEN und IMMA e.V., gegründet (KIM steht für KIBS und IMMA e.V.). Das Beratungsangebot richtet sich an männliche* und weibliche* Betroffene von sexualisierter Gewalt in Fürstenfeldbruck und Umgebung. Dank einer erweiterten Unterstützung durch die Landeshauptstadt München bietet KIBS seit 2010 auch Einzel- und Gruppenarbeit für Jungen* ab sechs Jahren in München, die häusliche Gewalt miterlebt haben, an.

PräviKIBS©: Wirksame Prävention gegen sexualisierte Gewalt

Nachdem in der Arbeit bei KIBS klar wurde, dass speziell in stationären Einrichtungen oftmals Jungen* Übergriffe durch andere Jungen* erleben, hat KIBS 2019 das Präventionsprojekt PräviKIBS© speziell für Einrichtungen der stationären und teilstationären Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Ziel ist die Prävention von physischer, sexualisierter und/oder emotionaler Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen gegen Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen, die besondere Verantwortung für das Kindeswohl tragen. Das vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) wissenschaftlich eruierte Präventionsprojekt wird vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales maßgeblich im Rahmen des Bayerischen Gesamtkonzepts zum Kinderschutz gefördert.

Neu: Angebot für sexuell grenzverletzende Jungen* unter 14 Jahren

Dieses ernste Thema hat das KIBS-Team 2022 übernommen, wohl wissend um die besondere Verantwortung, den Schutz der betreuten Jungen* und jungen Männer*, die Gewalt erlebt haben, selbstverständlich trotzdem zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren war vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, vom Stadtjugendamt der Landeshauptstadt München, von unterschiedlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Beratungsstellen etc., aber auch von Eltern der Wunsch an die Beratungsstelle KIBS herangetragen worden, für Jungen* Hilfen anzubieten, die sich noch nicht im strafmündigen Alter befinden und durch sexuell grenzverletzendes Verhalten auffällig geworden sind. Es geht dabei auch darum, sich der Kinder, die Grenzen überschritten haben, anzunehmen, damit sie nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Die Herangehensweise von KIBS ist präventiver Kinderschutz im doppelten Sinne: Die Interventionen von KIBS haben das Ziel, eine potentielle Kindeswohlgefährdung in Bezug auf den sexuell auffälligen Jungen* und gleichzeitig die Kindeswohlgefährdung in Bezug auf jene Kinder, die durch das Verhalten des sexuell übergriffigen Jungen* zu Opfern zu werden drohen, abzuwenden.

Unabhängige Anlaufstelle für Betroffene im Rahmen der Aufarbeitung der Landeshauptstadt München

Seit Sommer 2022 steht allen Menschen, die seit 1945 aufgrund einer stationären Unterbringung durch die Landeshauptstadt München in Heimen, stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen und/oder einer Pflege- oder Adoptionsfamilie Gewalt erlebt haben, eine Erstanlauf- und Beratungsstelle offen. Die Anlaufstelle ist der erste Kontakt für die Belange der Betroffenen, wenn es um die Beantragung finanzieller Leistungen durch die Landeshauptstadt München geht, aber natürlich nehmen sich die psychosozialen Fachkräfte Zeit, hören zu. Denn sie wissen genau, wie schwer es für Betroffene sein kann, über belastende Erfahrungen zu sprechen – auch viele Jahre später noch. Die von der Landeshauptstadt München einberufene unabhängige Expert*innenkommission hat den KINDERSCHUTZ MÜNCHEN als Träger der Anlaufstelle aufgrund der jahrelangen Expertise im Rahmen der Beratungsstelle KIBS ausgewählt.

Bundesweit zu wenige Angebote

18.497 sexuell missbrauchte Kinder im Jahr 2023, 17.168 Kinder in 20223 – die Fälle nehmen zu. Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen und Jugendpornographie im Internet haben sich in den Corona-Jahren von 2020 auf 2022 mehr als verdoppelt. Nur ein kleiner Teil der Taten wird angezeigt4. Wie viele bleiben unter dem Radar? Was tragen die jungen Menschen für ein Riesenpaket mit sich? Ihr Leben lang!?

Etwa ein Drittel5 der von sexuellem Missbrauch Betroffenen ist männlich*. Die Gesellschaft muss noch aufmerksamer werden, über sexualisierte und häusliche Gewalt muss laut gesprochen werden. Bundesweit gibt es immer noch viel zu wenige Angebote, die sich speziell an Jungen* und junge Männer* richten. Zudem liegt die Finanzierung solcher Angebote in den seltensten Fällen bei 100 Prozent. So muss der KINDERSCHUTZ MÜNCHEN für die Beratungsstelle KIBS jedes Jahr Eigenmittel aus Spenden zusetzen, um die Beratungsleistungen zu gewährleisten.

KIBS setzt Signale, motiviert – zum Gespräch, zum Aufbrechen eines Tabus, zum Handeln. Die Hemmschwelle, das Schamgefühl sind nach wie vor riesig. Es ist wichtig, eine wahre, gesellschaftsnahe, aktuelle Kommunikation über sexualisierte Gewalt anzustreben, um Vertrauen für die Betroffenen zu schaffen.

Wir ermöglichen Zukunft.

Der KINDERSCHUTZ MÜNCHEN ist ein überkonfessioneller und parteipolitisch ungebundener Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Träger von Einrichtungen der Kindertagesbetreuung sowie Vormundschafts- und Betreuungsverein mit Sitz in München. Mit vielfältigen Angeboten trägt der im Jahr 1901 gegründete gemeinnützige Verein dazu bei, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Familien ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen und sich aktiv an der Gesellschaft beteiligen. Die Angebote der über 50 Einrichtungen in und um München umfassen ambulante Erziehungshilfe, Beratung bei sexuellem Missbrauch, Migrationsangebote, soziale Arbeit an Schulen, Stadtteilangebote, stationäre Erziehungsangebote, betreute Wohnformen, Kindertageseinrichtungen sowie Vormundschaften und rechtliche Betreuungen.

Weitere Informationen unter www.kinderschutz.de

 Anmerkungen:

1 UN-Kinderrechtskonvention

2  Arbeitsstab der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: beauftragte-missbrauch.de; 240703_Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_UBSKM.pdf (beauftragte-missbrauch.de); zuletzt aufgerufen am 26.09.2024, 10:42

3 Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2022 und 2023 (BKA – Polizeiliche Kriminalstatistik)

4 Arbeitsstab der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: beauftragte-missbrauch.de; Zahlen zu sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland: beauftragte-missbrauch.de, zuletzt aufgerufen am 26.09.2024, 10:37

5 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Mutig fragen – besonnen handeln. Berlin, 2012

KINDERSCHUTZ MÜNCHEN
Beate Zornig | Öffentlichkeitsarbeit
Tel +49 (0)89 23 17 16 – 9923 | oeffentlichkeitsarbeit@kinderschutz.de